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"Eins und eins und eins": Lebenslanger Freizeitspaß auf der Galeere

von Jürgen T. Widmer

ULM -- Hat Wasser wirklich keine Balken? Gehört zum Petanque zwingend ein Pernod dazu? Wie anstrengend ist eigentlich eine Aerobic-Stunde mit echten Könnern? Fragen über Fragen. Die Antworten liefert die SZ-Sommerserie "SZelbstversuch". Die Regionalsport-Redaktion Ulm versucht sich in Sportarten, die den Mitarbeitern bislang eher fremd waren. Zum Auftakt zwängte sich SZ-Redakteur Jürgen T. Widmer ins Ruderboot.

"Zieh!" Der Mann hat leicht reden, oder besser brüllen. Immerhin war er Olympiasieger, Deutscher Meister und was weiß ich noch alles. "Eins und eins und eins." Raimund Hörmann kann alles gleichzeitig: Sich in die Riemen legen und kräftig pullen, dabei, wie immer das auch geht, den Rhythmus der sieben Leute hinter ihm im Auge behalten und gute Laune verbreiten.

"Eíns und eins und eins." Meine Oberarme fühlen sich maximal nach "und" an, nicht nach "Eins" und schon gar nicht nach "Zieh". Während Schlagmann Hörmanns breite Schultern regelmäßig die Riemen nach hinten schnellen lassen, kämpft mein Körper direkt dahinter darum, wenigstens beim Vor- und Rückwärtsrollen auf dem Sitz nicht vollkommen aus dem Takt zu kommen. Leicht würde der Einstieg in die Königsklasse der Ruderer nicht werden. Das hatte mir Christian Viedt, Trainer beim Ulmer Ruder-Club Donau, bereits vorher gesagt. Die Abstimmung zwischen den Ruderern ist es, was es so schwierig macht, einen harmonischen Achter zusammenzustellen. Von Harmonie kann angesichts meiner körperlichen Verfassung nicht die Rede sein.

Dabei sitzen mit Hörmann und Hansjörg Käufer, dem ehemaligen WM-Teilnehmer im Leichtgewicht, nicht nur Spitzenkönner im Boot. Michael Leibinger macht direkt hinter mir den Buckel krumm, weiter hinten Michael Dauser, der Ex-Basketballer, der mit seinen zwei Metern den cw-Wert des Bootes nicht gerade verringert.

Vor drei Jahren kam Dauser zum Rudern. "Ein toller Sport, der unglaublich Spaß macht", sagt er. "Vor allem, weil er den ganzen Körper trainiert." Spaß auf der Galeere? Mein Körper fühlt sich nicht trainiert, eher malträtiert an. Entgegen der landläufigen Meinung ist auch noch in den Lebensjahren jenseits der Dreißig ein Einstieg in den Rudersport möglich. Der erste Versuch scheint ähnlich schwierig, wie der Einstieg in das schmale Rennboot. Den Bootsboden darf man nicht betreten. "Er würde durchbrechen", warnt Hörmann. Schließlich wird bei Rennbooten an jedem Gramm gespart.

Meine erste Fahrt in einem Ruderachter beginnt versprechend. "Runter kannst Du ja steuern", schlägt Hörmann vor. Steuermann in einem Achter mit einem leibhaftigen Olympiasieger drin, hört sich verführerisch an. Außerdem hat der Steuermann die beste Sicht. Denn die acht Ruderer sitzen mit dem Rücken zur Fahrtrichtung.

Na, den Hintern breit sitzen?

Auch der Spott des fotografierenden Kollegen ("Na, schon wieder den Hintern breit sitzen") kann mir nichts anhaben. Von Breitsitzen kann in dem engen Boot keine Rede sein. 50 Kilogramm muss ein Steuermann mindestens wiegen. Viel mehr ist angesichts des schmalen Sitzes auch nicht möglich. Meine 75 Kilogramm reiben seitlich bedenklich an der Bootswand.

Die Enge hat einen weiteren Nachteil. Sobald sich die Acht geschlossen in die Riemen legen, wird mein Oberkörper nach vorn und hinten gebeutelt. Die erwarteten Blasen bilden sich nicht etwa an den Händen, sondern eine Handbreit über dem Steißbein. Steuern macht dennoch Spaß. Steuerbord, Backbord, wenn es zu schwierig wird, hilft Hörmann, der als Schlagmann bei Trainingsfahrten, wenn kein Steuermann an Bord ist, das Boot mit den Füßen selbst lenkt. Wie das funktioniert, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und genau auf Schlagzahl und Rhythmus achten? Antwort: "Erfahrung".

Rudern macht eigentlich auch Spaß. Zumindest die ersten Züge. Vorrollen und ziehen. Die ersten Versuche werden von mir alleine gemacht, der Rest der Crew achtet darauf, dass das Boot durch zu heftige Oberkörperbewegungen nicht zu schwanken anfängt; zu "Rollen", wie Ruderer sagen. Und dann ist da noch "Seppe", das Motorboot. Da steht zwar "Seppe" drauf, ist aber Christian drin. Christian Viedt ist Rudertrainer und sieht, bedauerlicherweise, alles.

"Nicht so weit nach vorn, zieh ruhiger, nicht zu viel auf einmal." Gut gemeinte Ratschläge, aber verschwendet an jemand, der alles richtig machen möchte. Was zeigt, dass Rudern zwar viel mit Kraft und Ausdauer zu tun hat, aber vor allem den Geist fordert. Konzentration und Koordination sind mindestens genauso gefragt. Lässt aber die Kraft nach, dann bleibt auch die Konzentration weg. Mit schmerzhaften Folgen: Plötzlich stellt sich der Riemen quer, blockiert und haut gefährlich in Richtung meiner Rippen. Wasser hat zwar keine Balken, doch die Begegnung mit anderem Holz ist auch nicht gerade spaßig.

Achtung: Suchtgefahr!

"Gerade am Anfang muss man aufpassen, dass man sich nicht übernimmt", sagt Viedt. Zumal Rudern nach kurzer Zeit süchtig machen kann. Wenn das Boot einmal Fahrt aufgenommen hat, gibt es kaum ein intensiveres Naturerlebnis, verbunden mit körperlicher Ertüchtigung. Wobei das Naturerlebnis ein ganzjähriges ist. Lediglich wenn die Donau Eis führt, kann nicht gerudert werden. Der Vorteil: Wer rudert, friert nicht.

Wer im Sommer rudert, schwitzt dafür ordentlich und die ansonsten an Computertasten gewöhnten Hände zeigen an zwei Stellen Schwielen. Allerdings stellt sich auch schnell ein Gefühl der Zufriedenheit ein, wenn es gelingt, nicht vollkommen aus dem Takt zu geraten. Und in diesem Moment, knapp, bevor ich wieder das Steuer übernehme, nehme ich mir fest vor, dass ich irgendwann auf dieses "Zieh" mit einem kräftigen, nicht enden wollenden Ruderzug antworten werde. Sofern ich bis dahin keine Schwielen mehr an den Händen habe.

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